Haushaltsreden im August. Hat es das eigentlich schon einmal in Selm gegeben?
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Im Jahr 2023 wurden die Haushaltsreden im Februar und damit drei Monate später als üblich gehalten. Heute stimmen wir im August über den Haushalt 2024 ab. Wir diskutieren heute den Haushalt für ein zu drei Vierteln bereits vergangenes Jahr. Fast acht Monate dauert nun der Zustand der vorläufigen Haushaltsführung an.
Seit der Einbringung im Januar ist das prognostizierte Defizit von rund neun auf ca. 3,4 Mio. Euro gesunken. Das ist gut, aber kein Grund zum Jubeln, beruht dies doch zu einem großen Teil auf Einmaleffekten. Der Sparzwang ist groß und in absehbarer Zeit ist eine Entspannung der Situation nicht zu erwarten. Ausgaben reduzieren auf der einen Seite, Einnahmen erhöhen auf der anderen Seite. Was muss man tun, was kann man tun?
Die Verwaltung hat Vorschläge erarbeitet und wir haben in der Haushaltskommission, in den Ausschüssen und in den Ratssitzungen gestritten und diskutiert. Dabei wurde auch Dinge in Frage gestellt, die in unseren Augen unverzichtbar sind.
Zum Beispiel: Rettungsdienst und Feuerwehr
Der Bedarfsplan für den Rettungsdienst sagt eindeutig aus, dass die Rettungswache benötigt wird, weil in Selm die gesetzlich vorgegebenen Eintreffzeiten nicht eingehalten werden. Das heißt: Im lebensbedrohenden Notfall kommt der Rettungsdienst unter Umständen zu spät zum Patienten und der Patient zu Schaden. Der Bau der Rettungswache ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um den Rettungsdienst und Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt zu gewährleisten. Ja, die Rettungswache kostet viel Geld, wird aber auch über Rettungsdienstgebühren refinanziert.
Diskutiert wurde auch über Investitionen bei der Feuerwehr. Bei dem Ausbau des Feuerwehrgerätehauses in Hassel wurde aus dem Kreis der CDU bemängelt, die Feuerwehrfrauen und -männer würden nicht die erwarteten Eigenleistungen bei der Renovierung mit einbringen, deshalb wären die Kosten zu hoch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Feuerwehr engagieren sich über 150 Frauen und Männer ehrenamtlich, stehen an 365 Tagen rund um die Uhr für Einsätze und für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zur Verfügung.
Hierfür gebührt allen Feuerwehrleuten ein großes Dankeschön und es sollte selbstverständlich sein, dass alle Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Ausrüstung und Gerätehäuser dem üblichen Standard entsprechen. Die dazu notwendigen Mittel bereitzustellen ist unser aller Pflicht. Gefahrenabwehr kostet Geld, ist aber zwingend notwendig. Bei der Feuerwehr und dem Rettungsdienst zu sparen ist der falsche Ansatz. Unterfinanzierung in der Daseinsvorsorge gefährdet die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Letztendlich wurden die Mittel, weil auch zwingend erforderlich, bewilligt, aber die Diskussionen darüber hätten wir gar nicht erst führen müssen.
Auch zukünftig werden einige Investitionen unabdingbar sein. So werden wir zum Beispiel für das Pumpwerk Seiland in der Zukunft viel Geld ausgeben müssen. Aber wir benötigen das Pumpwerk dringend. Hier zu sparen, bedeutet in der Zukunft noch mehr Geld ausgeben zu müssen. Notwendige Dinge in die Folgejahre zu schieben, macht es nur noch teurer.
Stichwort Schule
Investitionen in die Schulen werden uns auch in Zukunft beschäftigen. Ab 2026 hat jedes neue Grundschulkind einen Rechtsanspruch auf einen Platz im offenen Ganztag. Welche baulichen Maßnahmen sind hierfür erforderlich? Welche Summen müssen wir bereitstellen? 20 Millionen Euro oder mehr? Wie sollen wir es bezahlen? Eins steht fest. Es wird teuer. Anfang Juni haben die zuständigen Ministerinnen Frau Feller und Frau Paul angekündigt, ab 2027 werde NRW mehr als eine Milliarde Euro in den OGS-Ausbau investieren. Ich hoffe, ein ausreichender Teil fließt nach Selm.
Nach der Grundschule kommt die weiterführende Schule. Leider wurde auch mit den Stimmen der SPD der Prüfauftrag zur Gesamtschule zurückgezogen. So hat die SPD eins ihrer wesentlichen Wahlversprechen gebrochen. Jeder weiß: Wir können in den nächsten fünf Jahren keine neue Schule bauen. Aber prüfen, ob eine Gesamtschule für Selm überhaupt in Frage kommt, das hätte man schon machen können.
Klar ist: Das Schulgebäude an der Südkirchener Straße muss erweitert werden. Wir hatten gehofft, durch den Prüfauftrag Klarheit darüber zu gewinnen, ob wir besser in einen Ausbau und den Fortbestand der Sekundarschule oder in eine Erweiterung zur Gesamtschule Geld stecken sollen. Nun werden wir wohl Millionen in die Sekundarschule stecken, ohne die Alternative geprüft zu haben.
Wie wir es auch drehen und wenden. Auch in den nächsten Jahren werden wir Geld für Investitionen ausgeben müssen. Wir dürfen das Geld sicher nicht mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Investitionen sind notwendig und nicht generell schlecht. Wenn wir in Zukunft mit Augenmaß investieren, schaffen wir nicht nur mehr Werte, sondern wir schaffen vielleicht auch einen Mehrwert für unsere Stadt. Bitte lassen Sie uns jeden Einzelfall kritisch prüfen, aber nicht rigoros alle Investitionen streichen.
Stellenplan
Neben den Investitionen war auch der Stellenplan Gegenstand reger Diskussionen. Im Stellenplan 2024 sollen fünf Stellen Vollzeitäquivalente wegfallen. Aber einzelnen Kollegen im Rat reicht dies noch nicht aus. Gerade von der FDP-Fraktion wurde immer wieder gefordert, das Personal weiter zu reduzieren. Auf der anderen Seite wurde aber von denselben Kollegen die Meinung vertreten, die Verwaltung sei nicht in der Lage große Projekt, wie den Bau der Rettungswache oder ähnlich Dinge zu managen.
Was wollen Sie den nun, liebe Kollegen von der FDP? Eine Verwaltung, die in Ihren Augen nicht ausreichend leistungsfähig ist noch kleiner sparen? Tut mir leid, ich kann die Argumentation nicht nachvollzeihen. Die UWG ist der Meinung, die Verwaltung ist sehr wohl in der Lage, große Projekte zu begleiten. Mann darf sie aber nicht noch mehr einschränken.
Von anderer Seite kommt die Forderung nach mehr „Privat vor Staat“; dann könne man die Verwaltung verkleinern und private Investoren könnten sowieso alles viel besser als die Stadt.
Was private Investoren können, erleben wir gerade aktuell mit dem Projekt an der Kreisstraße. Seit Jahren Stillstand und leerstehende Abrisshäuser, und nun droht das Ende der TenBrinke-Pläne. Und das mit erheblichen finanziellen Einbußen für unsere Stadt.
Private Investoren wollen Rendite. Das ist nicht verwerflich. Das bedeutet aber auch, sobald der Gewinn schwindet, die Renditeaussicht schrumpft, schwindet auch die Bereitschaft zu investieren und Projekte zu Ende zu führen.
Deshalb sollten wir es eher nach dem Motto „Privat im Staat“ machen. Wie das zum Wohle der Stadt funktionieren kann, erleben wir gerade mit der Gründung der Kooperationsgesellschaft Wassernetz Selm GmbH und der Neuorganisation der Wasserversorgung.
Um solche Dinge auch zukünftig leisten zu können benötigen wir eine personell gut aufgestellte Verwaltung. Deshalb werden dem in der Vorlage 187 vorgeschlagenen Haushaltsplan und der Haushaltssatzung und dem darin enthaltenden Stellenplan zustimmen.
Haushaltssicherungskonzept
Doch da haben wir auch noch das Haushaltsicherungskonzept. Keine Frage, zum Schuldenabbau ist es notwendig Dinge auf den Prüfstand zu stellen Ausgaben zu minimieren und Einnahmen, wenn möglich, auch zu erhöhen. In mehreren Sitzungen haben wir ausgelotet, welche Maßnahmen im HSK für die Mehrheit im Rat Zustimmung finden könnte.
Bemerkenswert war die Einigkeit in Bezug auf Steuererhöhungen. Keiner möchte die Steuern erhöhen. Und schon gar nicht im Jahr 2024 oder 2025. Also wird eine mögliche Steuererhöhung im HSK erst ab 2027 vorgesehen. Mal schauen, ob sie kommt, und wenn ja, in welcher Höhe.
Andere Einnahmeerhöhungen und Kürzungen sollen aber schon in diesem Jahr und dann in den Folgejahren erfolgen. Ist ja auch logisch; das Geld fehlt ja schon jetzt und nicht erst in zwei Jahren.
Als UWG haben wir stets Schwierigkeiten mit Kürzungen im sozialen Bereich. Schulsozialarbeit, präventive Hilfen, Team Jugendförderung und ähnliches sind freiwillige Leistungen. Unstrittig. Doch nützt es dem Haushalt, wenn wir in der Prävention sparen und hinterher im Bereich der Familienhilfe und ähnlichem höhere Fallzahlen haben?
Auch der Reduzierung der Fachausschüsse des Rates auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum stehen wir kritisch gegenüber. Wir fürchten, dass uns das Wissen der Sachkundigen Bürger fehlt und Diskussionen in den Ausschüssen wegfallen.
Aber der größte Knackpunkt im HSK ist die in Erwägung gezogene Erhöhung der Elternbeiträge. Der Vorschlag der Verwaltung lautet 200.000 Euro bei den Kita-Gebühren und 30.000 Euro bei den OGS-Gebühren jährlich mehr erzielen zu wollen. Zu diesem, zugegebenen stets strittigen Thema, wurde ein Arbeitskreis gebildet. In diesem Arbeitskreis wurde schnell deutlich, dass alle teilnehmenden Fraktionen, außer der UWG-Fraktion bereit sind, die Familien nicht nur mit den vorgeschlagenen 230.000 Euro jährlich zu belasten, sondern deutlich darüber hinaus zu gehen. Diskutiert wurde eine Mehrbelastung der Familien durch Beitragserhöhung von mehr als 400.000 €.
Übrigens: Die Familienparte hat ausgerechnet an dieser wichtigen familienpolitischen Debatte nicht teilgenommen, deshalb kenne ich deren Position nicht. Aber alle anderen Fraktionen sind bereit dem zuzustimmen.
Die UWG hält die angedachte hohe Belastung der Familien für völlig überzogen und unsozial. Die Haushaltskonsolidierung zu einem solch hohem Maße ausschließlich den Familien zuzumuten ist für uns nicht tragbar. Und ja, in der Vorlage zum HSK sind diese Beträge nicht berücksichtigt, weil noch nicht final beschlossen. Aber wir gehen fest davon aus, dass im Jugendhilfeausschuss eine solche Vorlage Zustimmung finden wird und die Erhöhung vor der Anmeldephase zum nächsten KITA-Jahr beschlossen wird.
Die UWG kann einem HSK, mit diesen Einsparungen im sozialen Bereich und einer solchen Erhöhung der Elternbeiträgen nicht zustimmen. Deshalb werden wir gegen diese Vorlage stimmen.
Dank
Wir bedanken uns bei Sylvia Engemann und ihrem Team für Aufstellung des Haushaltsplanes, aber auch bei allen anderen Mitarbeitenden der Verwaltung. Seit acht Monaten wird dort mit einem Nothaushalt, also unter erschwerten Bedingungen, gute Arbeit geleistet. Dies ist sicher nicht einfach, und deshalb möchten wir dafür nochmals Danke sagen.
Ein Dank auch an alle Mitglieder des Rates für den intensiven Austausch. Gelegentlich war die Debatte emotional und auch schon einmal hitzig, aber insgesamt doch respektvoll und geprägt von dem Willen für unsere Stadt etwas Positives zu erreichen. Eine Demokratische Gesellschaft lebt nicht vom Konsens, sondern vom Kompromiss.
In diesem Sinne hoffen wir auch in Zukunft auf eine Gute und ergebnisorientierte Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister, der Verwaltungsspitze und allen Ratsfraktionen.
Schluss
Ohne eine Altschuldenlösung werden die Kommunen auf Dauer kaum handlungsfähig sein. Dazu passend berichtete die Ruhr-Nachrichten in der Ausgabe vom 13. August -also vorgestern-, dass die Spitze der Bundes-SPD sich klar dafür ausgesprochen hat, die Kommunen von den Altschulden zu entlasten. In dem Artikel wurde dann noch berichtet, dass die NRW-Landesregierung im Juni angekündigt hatte, ab 2025 in eine Altschuldenregelung einsteigen zu wollen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Goethes Faust zitieren:
„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“
Herzlichen Dank
Volker Meyer
—
Haushaltsrede der UWG Selm im Stadtrat 2024,
gehalten von Volker Meyer am 15.08.2024;
es gilt das gesprochenen Wort