Maria Lipke, Vorsitzende der UWG-Fraktion im Rat der Stadt Selm
Es gilt das gesprochene Wort
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Angesichts der Atomkatastrophe in Japan
kann ich nicht einfach zur Tagesordnung kommen
und eine Haushaltsrede halten.
Im Lichte der japanischen Ereignisse sind Beschwerden,
Kritiken in Haushaltsreden und Haushaltsreden an sich,
absolut unwichtig. Wir haben andere Sorgen!
Obwohl Atomgegner nicht erst seit Tschernobyl,
sondern lange vorher über die Risiken der Kernenergie gewarnt haben,
obwohl Tschernobyl gezeigt hat,
dass es durch menschliches Versagen zum Gau kommen konnte,
sprechen Politiker davon, dass das Undenkbare eingetreten ist.
Offensichtlich ist die Menschheit bereit,
für ihren Fortschritt, ihre Lebensform oder ganz einfach
ihre Bequemlichkeit, Risiken einzugehen,
deren Folgen überhaupt nicht abzuschätzen sind.
aber, und hier schließt sich der Kreis.
Der zu verabschiedende Haushalt
und die Katastrophe haben einen gemeinsamen Nenner:
Die Arroganz der Macht!
Mahner werden als Spinner abgetan.
Der gleiche Mechanismus trug auch zur weltweiten Finanzkrise bei.
Das statistische Bundesamt hat im Februar 2011
die neuesten Verschuldungszahlen veröffentlicht.
Danach stehen Bund, Länder und Gemeinden in ganz Deutschland
mit knapp 2 Billionen Euro in der Kreide.
Allein seit dem Krisenjahr 2009 stiegen die Schulden
um 304 Milliarden oder 18 Prozent.
Auch die Gemeinden rutschten immer tiefer in die roten Zahlen.
Hier stieg die Verschuldung laut Statistikamt auf 119 Milliarden.
119 Milliarden Gesamtverschuldung der Städte und Kommunen
zu 2 Billionen Gesamtverschuldung des Staates!
Wichtigster Grund für die wachsenden Verbindlichkeiten
sind also nicht die Kommunen,
sondern die so genannten Bad Banks.
Mit einer einzigen Kraftanstrengung wurde
den angeschlagenen Banken geholfen.
Es werden Staatsanleihen ausgegeben,
die Druckmaschinen für den Euro wurden angeschmissen
.
Allein die Stützung der Hypo Real Estate
und der West LB trieben den Schuldenstand um 232 Milliarden!
Sie erinnern sich: dagegen119 Milliarden,
Schuldenstand aller deutschen Städte.
Oder nehmen wir die Commerzbank Bank:
für 18 Milliarden erkaufte sich die Bundesregierung
einen Anteil von 25% der Commerzbank.
Von den 18 Milliarden kaufte die Commerzbank
dann für 5 Milliarden die Dresdner Bank.
Die seitdem zusammen an der Börse 3,9 Milliarden wert sind.
Aber immerhin 25% davon gehören uns,
der Bundesrepublik Deutschland,
Wert: immerhin knapp 1 Milliarde,
für 18 Milliarden erstanden,
Meine Damen und Herren,
Geldgeschenke an Banken,
an die Finanzwirtschaft-Zocker sind an der Tagesordnung.
Sichtlich zufrieden: Der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann
hat 2009 rund zehn Millionen Euro verdient.
Nur die Kommunen schauen in die Röhre und müssen Freibäder und Schulen
schließen.
Dann der Euro Schutzschirm, die Transferunion
Der Euro muss gerettet werden, koste es was es wolle.
750 Milliarden sind genehmigt
Aus dem Notkredit für Athen wird ein Rettungsfonds für alle Euro-Staaten,
die sich überschulden.
In ihn muss Deutschland 22 Milliarden in bar einzahlen,
die es selbst als Kredit aufnehmen und für die es Zinsen zahlen muss.
Zudem muss die Bundesrepublik eine Bürgschaft
im Wert von 168 Milliarden übernehmen.
All das ist im Übrigen das genaue Gegenteil dessen,
was die Bundesregierung ihren Bürgern bei der Einführung des Euros
versprochen hatte.
Nun soll der Zusammenbruch des Euroraums
durch den Griff in unsere Taschen verhindert werden.
Geldgeschenke, die die Verschuldung aller deutschen Kommunen klar
übersteigen
Ich unterstelle Absicht!
Man kann doch daran erkennen, dass es möglich ist,
die Kommunen mit angemessenen Mitteln auszustatten,
man will es aber nicht!
Die Entwicklung ist doch kein Zufall,
diese Entwicklung ist politisch gewollt.
Statt den Kommunen zu helfen, erlässt der Bund,
unabhängig davon, wer in der Regierung die Mehrheit hatte,
immer wieder Gesetze zu Lasten der Kommunen,
ohne dafür die ausreichenden Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Die Kommunen sind nicht mehr in der Lage,
die Infrastruktur für ihre Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen.
Und ich sage es ganz deutlich,
meine hier anwesenden Ratskollegen der regierenden Parteien,
meine Vorredner,
warum beklagen Sie sich?
Es sind Ihre Parteien, die verantwortlich sind.
Erst die rot-grüne Bundesregierung,
dann die große Koalition und letztendlich
die schwarz-gelbe Bundesregierung haben klar und deutlich gezeigt,
dass sie kein Interesse daran haben,
den Kommunen zu helfen.
Man zwingt die Städte dazu, keine Ansprüche zu stellen, sich kleinlaut den
Aufsichtsbehörden zu unterwerfen um sich sämtliche Ausgaben genehmigen zu
lassen und dankbar zu sein, wenn man etwas genehmigt bekommt.
Die Sache ist absolut schizophren. Wir hatten den Fall noch in der letzten
Hauptausschußsitzung: Das Land beschließt neue Gesetze, die die Kommunen
umzusetzen haben. z.B. im neuen Schulgesetz! Aufgaben, die Finanzmittel
erfordern. Diese Finanzmittel stellt das Land jedoch nicht zur Verfügung. Die
Städte müssen einspringen. Das bedeutet im Klartext:
Selm als Nothaushaltsgemeinde muss bei der Kommunalaufsicht, dem
verlängerten Arm der Landesregierung, bitte, bitte machen, um die Selmer
Schulen ordnungsgemäß ausstatten zu dürfen,
Also, wenn das nicht krank ist!
Warum lassen wir uns das gefallen, meine Damen und Herren?
Ganz klar, weil wir abhängig sind, von der Kommunalaufsicht. Und jetzt wissen
Sie auch, meine Damen und Herren, warum uns keiner hilft: Die Abhängigkeit
ist klar gewollt!
Aber man soll ja positiv denken.
Frau Merkel forderte letzten Donnerstag die Bürger
zu einem „Jahr des Vertrauens“ auf.
Vertrauen ist gut….
Meine Damen und Herren.
Da gibt es im Auftrag der Landesregierung
ein Gutachten von Prof. Junkernheinrich und Prof Lenk
noch von der alten Landesregierung in Auftrag gegeben,
von der neuen Landesregierung unterstützt.
Vertrauen wir darauf, dass es auch umgesetzt wird.
Dieses Gutachten zeigt deutlich, was Städte wie Selm
schon seit 20 Jahren beklagen,
nämlich, dass das grundsätzliche Problem
der kommunalen Haushalte strukturell ist.
Die Städte und Gemeinden haben schlicht zu wenig Geld,
um alle Aufgaben erfüllen zu können,
die über die letzten Jahrzehnte bei ihnen verordnet wurden.
Das Hauptproblem ist auch klar benannt in dem Gutachten.
Es sind die Soziallasten.
Der Bund wird seiner Verantwortung nicht gerecht.
Nach dem Willen der Gutachter
soll das Land zusätzliche Entschuldungshilfen an die Städte auszahlen.
Außerdem ist ein Solibeitrag der reicheren NRW Kommunen
zugunsten der überschuldeten Städte und Gemeinden
in dem Konzept verankert.
Dadurch sollen die kommunalen Kassenkredite
von derzeit über 20 Milliarden Euro
bis 2020 auf 10 Milliarden Euro reduziert werden.
Die Ziele des Gutachtens sind ehrgeizig:
Haushaltsausgleich in allen Kommunen sofort
und Halbierung der aufgelaufenen Liquiditätskredite in 10 Jahren.
Die Gutachter sagen aber auch,
dass man Jahre vorher hätte handeln müssen.
Das Gutachten zeigt also,
was wahrscheinlich alle Haushaltsredner
der 78 Kommunen im Raum der Bezirksregierung,
die keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben
oder wie Selm, überschuldet sind,
seit Jahren predigen und
das von den Verantwortlichen schlichtweg ignoriert wird.
Wie gesagt, alles Absicht! Politischer Wille
Das Gutachten könnte allerdings auch Mut machen,
wenn, ja wenn es nicht den Haushaltsstreit in NRW gäbe,
wenn das Haushaltsurteil des Landesverfassungsgerichts
den Nachtragsetat für 2010 nicht für nichtig erklärt hätte
und damit die vorgesehenen Rücklagen für die Kommunen
in Frage gestellt hat.
Nun hat sich neuerdings allerdings
auch die CDU-Opposition eingeschaltet und vorgeschlagen,
gemeinsam mit der Landesregierung ein Sondergesetz zu verabschieden,
um den Kommunen 650 Millionen an Konsolidierungshilfen
zukommen zu lassen.
Für Selm wäre es ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Wir wären dann etwa wieder beim Jahresfehlbetrag von 8,8 Millionen, wie bei
der Haushaltseinbringung im Dezember,
statt der jetzt gültigen Zahl von 9,3 Millionen.
Damit sind wir dann endlich beim Haushalt der Stadt Selm:
Der von Ihnen, Frau Engemann vorgelegte Entwurf zum Haushalt zeigt,
dass die Stadt Selm immer noch absolut überschuldet ist.
Die Verwaltung selbst bewertet diese kommunale Überschuldung in folgender
Weise:
Ich zitiere aus Ihrer Rede, Frau Engemann:
„Eigentlich ein gesetzwidriger Zustand.
Nur weiß keiner so Recht, was dann passiert.
Die Zahlungsunfähigkeit einer Kommune ist damit jedenfalls nicht besiegelt.
Es gibt auch nicht so etwas wie die kommunale Insolvenz
wie in der Schweiz oder in den USA.
Man geht von der Fiktion aus, dass das Land quasi als Bürge eintreten kann“
Zitat Ende
(ist ja wichtig heutzutage, dass man ordentlich zitiert)
Meine Damen und Herren, nehmen wir sie in Anspruch, diese Bürgschaft!
Wir möchten wieder eine kommunale Selbstverwaltung,
wir möchten uns wieder in den Etatberatungen
um Mittel und Ziele streiten. Visionen einbringen und Anträge stellen, Stellen
fordern.
Dieser Haushalt ist kein Haushalt,
Pflichtaufgaben, Soziallasten, Jugendhilfekosten,
Transferausgaben, die keine sind
Personalkosten.
Keine Stellschrauben, keine Steuerungsmöglichkeiten,
kein Einfluss durch Rat und Verwaltung. Nicht einmal Knackpunkte
Deshalb. Verabschieden wir ihn schnell, den Haushalt 2011,
bevor sich die Zahlen weiter verschlechtern.
Wussten Sie meine Damen und Herren,
dass die Deutsche Bank und die WestLB für Tepco,
den Betreiber des japanischen Katastrophen-Reaktors,
Anleihen von 60 Millionen Euro ausgegeben hat?
Dann die Energiekonzerne: RWE und Eon bereiten offenbar Widersprüche und
Schadensersatzforderungen wegen der verfügten Zwangsabschaltung der
Kernkraftwerke vor.
Der Krieg in Libyen wird Milliarden verschlingen.
Und die Katastrophe in Japan wird sicherlich auch an Deutschland nicht
finanziell vorbei gehen.
Verabschieden wir ihn also ganz schnell, diesen Haushalt 2011.
Bevor wir sämtliche Bundes- und Landesmittel streichen müssen.
Zwischen Einbringung und der heutigen Verabschiedung
erhöhte sich der Jahresfehlbetrag schließlich bereits um 500 tausend Euro.
Die UWG-Fraktion trägt ihn mit, den Haushalt 2011,
mit allen Anlagen.
Wir möchten aber nicht verhehlen,
das wir nicht alles, was in dem Papierschinken,
der übrigens durch neue Produktpläne und NKF
nicht wirklich übersichtlicher geworden ist,
gut heißen.
Manches Haushaltssicherungskonzept,
durch Herrn Mutter angeregt,
lehnen wir weiterhin ab,
die Schulpolitik macht uns fertig,
Die Reduzierung des ÖPNV findet nicht unsere Zustimmung,
und der jetzige Schwerpunkt „Investitionen für Strassen“
ist auch nicht wirklich unser Thema
wir hätten den ab 2014 vorgesehenen Themenschwerpunkt:
Sport lieber heute verabschiedet und gesehen.
Dennoch, wir sehen auch die Bemühungen des Bürgermeisters,
Selm nach vorne zu bringen.
Auch das ist unser erklärter Wille
Und Herr Bürgermeister
Sie haben dabei die volle Unterstützung der UWG-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren der Verwaltung,
liebe Ratskolleginnen und -kollegen!
In der Sache sind wir nicht immer einer Meinung.
Das muss auch nicht sein.
Die Auseinandersetzungen wurden und werden aber überwiegend in der Sache
und nicht persönlich geführt. Dieses Miteinander zeichnet, so glaube ich, unsere
Zusammenarbeit in Selm aus.
Und wie gesagt, wir haben z. Zt andere Sorgen als Auseinandersetzungen über
die Verabschiedung des Haushaltes.
Meine Herren, meine Damen, lassen Sie uns weiter daran arbeiten, dass es uns
in Selm gut geht.
Dafür danke ich Ihnen allen persönlich und im Namen der UWG- Fraktion.
Herr Bürgermeister, richten Sie diesen Dank bitte auch allen Ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!