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Teilnehmer des Sonntagsspaziergangs der UWG

Aktuelle Themen & Standpunkte

Sonntagsspaziergang der UWG am 30.09.2018 – Bericht von Peter Gehrmann

Die Freiherr-vom-Stein-Stadt Selm und die Hermann-Siedlung oder – ein Blick zurück nach vorn

Die Anfänge des Steinkohlenbergbaus in Westfalen

Wenn man in die Geschichte des Steinkohlenbergbaus in Westfalen blickt, stößt man auf den Freiherrn vom Stein. Er wird als „Förderer des Bergbaus“ bezeichnet. Das darf man sich jedoch nicht so vorstellen, dass ein reicher Adeliger sein Geld in den Bergbau investiert hätte. Der Mann hat seinen Job gemacht. Denn als er 1780 Beamter des preußischen Staates wurde, hat er sich – laut seiner Ernennungsurkunde – verpflichtet, „unablässig auf die Verbesserung des Bergbaus und des Hüttenwesens […] bedacht (zu) sein.“
Da er seinen Job gut gemacht hatte, wurde er vier Jahre später Direktor des Bergamtes Wetter an der Ruhr.

Dort hat er für die Einführung und Durchsetzung von Standards gesorgt, zum Beispiel in der Ausbildung, bei der Bezahlung der Bergarbeiter, aber auch für den Kohletransport auf der Ruhr.

Freiherr vom Stein

Stein ging es jedoch nicht nur um den Bergbau im engeren Sinne, sondern um den Prozess der Industrialisierung. Insofern wurde sein Interesse auf England gelenkt – das Mutterland der Industrialisierung.

Zur Zeit des Freiherrn vom Stein war der Personalbedarf der Zechen noch gering. Die größte Zeche in seinem Verantwortungsbereich hatte 22 Arbeiter.

Als der Bergbau in Selm angekommen war, waren Zechen Großbetriebe mit mehreren Tausend Beschäftigten – auf Zeche Hermann in der Hochphase ca. 3500.

Diese Menschen und ihre Familien brauchten Wohnungen. In Selm wurde die Hermann-Siedlung gebaut. Architekt war Karl Schulze, der die Hermann-Siedlung geplant hat und eine Reihe weiterer Zechen-Siedlungen und Verwaltungsgebäude. Seine Zechen-Siedlungen sind fast alle im Geiste der Gartenstadt-Idee gebaut worden und stehen auch fast alle unter Denkmalschutz. Die Hermann-Siedlung gehört leider nicht dazu.

 

Das Gartenstadt-Konzept und die Hermann-Siedlung

Die Gartenstadt-Idee wurde in England von Ebenezer Howard aus Vorläufern entwickelt, und zwar als Antwort auf die – durch Landflucht und Bodenspekulation – eingeschränkten und ungesunden Wohnverhältnisse in den rasch wachsenden Industriestädten des späten 19. Jahrhunderts. In den Gartenstädten sollte daher Grundbesitz nur öffentlich oder genossenschaftlich sein, um Bodenspekulationen auszuschließen. Diese reine Lehre der Gartenstadt hat sich jedoch weder auf dem Kontinent, noch in England selbst auf beiter Front durchgesetzt.

Den weitreichendsten Erfolg hatte die Gartenstadt-Idee im Ruhrgebiet. Seit 1846 sind rund 2.000 Arbeiter-Siedlungen entstanden. Roland Günter, der „Retter von Eisenheim“, bezeichnet das Ruhrgebiet sogar als „eine Landschaft von Gartenstädten“.

Das Gartenstadt-Konzept geht von der Vorstellung der Park-Landschaft aus. Wesentliche Merkmale dieses Konzeptes sind in der Hermann-Siedlung erkennbar:

Das Wegenetz entsteht aus der Morphologie der Landschaft.

Im Zentrum steht die Burg Botzlar, die im Osten von Teich- und Landsbergstraße halbkreisförmig umschlossen wird, so dass – zusammen mit der Kreisstraße – ein Ring entsteht. Von der Burg Botzlar ausgehend bildet die Talstraße bis zur Hagenstraße – und in umgekehrter Richtung – eine Blickachse.

Blickachse Talstraße Selm

Breite -, Eichen- und Buchenstraße, die weiter östlich liegen, verlaufen auf den jeweiligen Höhenlinien parallel am Westhang des Buddenbergs. Kreuzungen sind in der Regel so angelegt, dass zwei Straßen nicht direkt aufeinandertreffen, sondern versetzt angeordnet sind.

Sonntagsspaziergang durch die Gartenstadt Selm

Landschaft wird sichtbar und erlebbar

In Gestalt von Gärten und Baum-Alleen sowie grünen Plätzen (Mini-Parks). Die Gärten der Häuser zweier Straßen sind einander zugewandt, so dass innerhalb der Siedlung Grünzüge entstehen. Einen Grünzug, der die ganze Siedlung durchzieht, bildet der Passbach (heute Selmer Bach).

Selmer Bach, ehem. Passbach

Häuser sind 1,5 – maximal 2,5geschossig

In lockeren Reihen und versetzt angeordnet. Wenige Grundtypen sind variantenreich zu 47 Haustypen kombiniert – ein geschicktes Standardisierungsverfahren. Die alten Häuser sind so konzipiert, dass 2 Doppelhaushälften – an einer Symmetrieachse spiegelbildlich aufgebaut – eine einheitliche Hausgestalt ergeben.

 

Die Gegenwartsbedeutung der Gartenstadt

Die 1960er Jahre:

In der Stadtentwicklung schlägt Fortschritt in Wahn um. Kahlschlag ist angesagt, vor allem auch bei den Arbeiter-Siedlungen. Ungeregelte Privatisierung führt ebenfalls zur (Zer)Störung so mancher Gartenstadt.

Die 1970er Jahre:

Gegen den Flächenkahlschlag der Gartenstädte entwickelt sich Widerstand von Bürgerinitiativen. Die Initialzündung geht von der Siedlung Eisenheim in Oberhausen aus. Als Folge wird ein Ministerium für Stadtentwicklung wird in NRW eingerichtet.

Die 1990er Jahre:

Durch die Internationale Bauausstellung Emscherpark wird die Gartenstadt-Idee aufgegriffen und weiter entwickelt. Neben der Sanierung von alten Gartenstädten entstehen neue.

Die 2010er Jahre:

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sieht die Gartenstadt21 als ein Modell der nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung.

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